Der erste Actionfilm

In Paris arbeitet Georges Méliès in selbst gebauten Kulissen. Andere Filmemacher:innen drehen „on location“, also an Originalschauplätzen. Doch auch sie filmen überwiegend von einem festen Standpunkt aus. Die Einstellungen sind lang, meistens werden Totalen verwendet.

Der große Eisenbahnraub

1903 bringt die Edison Company The Great Train Robbery (Der große Eisenbahnraub, USA 1903, R: Edwin S. Porter) in die Kinos. Der 12-minütige Spielfilm von Edwin S. Porter gilt als erster richtiger Western der Filmgeschichte.

Er bringt alles mit, was einen Action-Movie ausmacht: Verfolgungsjagden, Schießereien und Gewalt. Alle sind ständig in Bewegung: zu Fuß, auf einer Lok, zu Pferde.

Innovativ ist der Film vor allem im Einsatz des sich gerade erst entwickelnden Filmschnitts und erster Kamerabewegungen.

Filmplakat The Great Train Robbery (Quelle: Unknown Author/Wikimedia Commons

In 14 Szenen wird die Geschichte des Überfalls auf einen Eisenbahnzug erzählt. Lange Totalen geben dem Publikum stets eine Übersicht über das Geschehen.

Die einzige Nahaufnahme des Films – der Bandit, der ins Publikum schießt – hat für die Handlung keinerlei Bedeutung. Sie ist ein reiner Werbegag. Den Kinobesitzer:innen wird freigestellt, sie am Anfang oder am Ende der Vorführung zu zeigen.

Der große Eisenbahnraub ist der erste einflussreiche narrative Film, bei dem der Filmschnitt bewußt zur über das technisch Notwendige hinausgeht und dadurch zur Erzählung beiträgt.

Nicht nur im Schnitt kommen erstmals filmische Mittel zum Einsatz, die heute zum Standardrepertoire gehören. Viele Dinge, die aus heutiger Sicht unspektakulär erscheinen, sind damals neu und ungewohnt:

In Parallelmontagen springt Porter zwischen gleichzeitig stattfindenden Ereignissen hin und her. Diese Schnitttechnik dient auch heute noch der Spannungssteigerung, wenn z.B. die Einbrecherin schon das Türschloss aufbohrt, während der Bewohner nichtsahnend entspannt in der Badewanne liegt. Die Zuschauer:innen sind so mit ihrem Wissen dem der Protagonist:innen voraus und hoffen, dass die Einbrecherin frühzeitig gestoppt werden kann.

Der Sheriff und seine Männer stürmen aus dem Saloon, in der nächsten Szene verfolgen sie die Banditen schon auf Pferden. Wie sie die Banditen aufgespürt haben, erfährt das Publikum nicht. Mit diesen Zeitsprüngen bringt Porter die Handlung schneller voran. Bewusste Auslassungen, deren fehlende Teile die Zuschauer:innen im Kopf ergänzen, heißen Ellipsen.

Porter ist wenig zimperlich mit Gewaltdarstellungen. Beim Handgemenge auf der Lok werfen die Gangster den Heizer vom Zug – natürlich nicht den echten Schauspieler, sondern eine Puppe. Dazu wird im Stopptrick-Verfahren die Kamera angehalten und der auf dem Boden liegende Mann durch eine Puppe ersetzt. Dann wird die Aufnahme fortgesetzt. Im Film sieht es fast wie eine durchgehend gedrehte Einstellung aus.

Die Kamera bleibt in Der große Eisenbahnraub zwar überwiegend statisch. Es kommen jedoch auch bereits Kamerabewegungen zum Einsatz, die der Erzählung dienen: Die Kamera folgt den fliehenden Banditen mit einem Schwenk. Die Zuschauer:innen erfahren, wo und wie es weitergeht.

Der große Eisenbahnraub (1903) (Quelle: Edwin S. Porter/Wikimedia Commons)

Der große Eisenbahnraub ist ein großer kommerzieller Erfolg. In den aufstrebenden Nickelodeons gehört der Film jahrelang zum Standardrepertoire. Bei Herstellungskosten von nur 150 US-Dollar wird er zu einem der einträglichsten Filme der Edison Studios.


Weitere Bildquellen:
– 6 Filmstills The Great Train Robbery: Edwin S. Porter/Wikimedia Commons
– Bewegtbild: Schießender Bandid aus The Great Train Robbery/Edwin S. Porter/Wikimedia Commons
– 10-Dollar-Note: N.N.: banknotehistory.com